Glasi und Guss – SVP nimmt Einblick

Auf dem Parteiausflug der SVP Hüntwangen führte der Bülacher alt Stadtrat Hanspeter Lienhart (SP) durch die neuen Wohn- und Gewerbequartiere.

Wer das Zürcher Unterland in den letzten 20 Jahren erlebt hat, beobachtete die Entwicklung nördlich vom Bahnhof Bülach und entwickelte eine Meinung oder Fragen dazu. Nach dem «Guss-Quartier» ist jetzt auch das «Glasi» fast fertig gebaut, ein idealer Zeitpunkt für den Blick hinter die Fassaden: Die SVP Hüntwangen bat – parteiübergreifend – alt Stadtrat und langjähriger Bülacher Bauvorstand Hanspeter Lienhart (SP) um eine Führung. Engagiert und mit Freude fand dieses am Samstag, 13. Mai 2023 statt.

Emotionen der Veränderung

Schroffe Wände, hinter denen rund 1’050 Wohnungen und ein Fünftel des Volumens an Gewerbefläche entstand, das Hochhaus, die schiere Grösse des Areals, grösser als die Altstadt innerhalb der Stadtmauern, dass die Glashütte und die Giesserei in mit ihren Hochöfen die Schwerindustrie im Zürcher Unterland waren, auf die alle ein bisschen stolz waren (350 Arbeitsplätze gingen bei deren Schliessungen verloren) und das heiss diskutierte Verkehrskonzept mit Fahrtenzählern an den Tiefgaragen, für das Hanspeter Lienhart, obwohl die Idee der Eigentümer, den «rostigen Paragraphen» erntete: All das löste in den der Region Diskussionen und Emotionen aus. Deshalb schauen wir genau hin:

Wohnungen statt Baumarkt

Lienhart empfing die SVP beim Eingang zum neuen Bistro im Guss. «Da sieht man viele jungen Leute» schmunzelt er und legt gleich los. In seiner ersten Amtsperiode schlossen Giesserei und die Vetropack, man bangte um den Industriestandort. Ein Leitbild sah neue Industrie und Gewerbe vor. «Doch es scheiterte. Niemand wollte die Flächen kaufen», so Lienhart. Ausser einem grossen Baumarkt, wie es in Bülach schon zwei gab. Der Stadtrat führte Gespräche mit den Privateigentümern, dem Kanton, der SBB: Heraus kamen zwei Wohnquartiere mit 20 Prozent Gewerbeanteil.

Erste Station des Rundgangs, ein Innenhof im Guss, Lienhart verweist auf die unterschiedlichen «architektonischen Sprachen». Vier Teilquartiere, drei mit beinahe privaten Innenhöfen, jeder mit einem kleinen Spielplatz, eigenständiger Fassadenstrukturen und Farben prägen das Guss. Und insgesamt passt doch alles zusammen, zum Beispiel die Gebäudehöhe, sechs bis sieben Etagen. Alle Wohnungen sind vermietet, das Eigentum ennet der neuen Gussstrasse verkauft. Wer dort steht sieht auch die Fahrtenzähler oberhalb der Einfahrten in die Tiefgaragen. «Wenn nach zehn Jahren die angedachte Anzahl von zwei Fahrten pro Parkplatz und Tag überschritten ist, müssen Massnahmen ergriffen werden, aber wir sind viel darunter», so alt Stadtrat Lienhart. «Über das Verkehrskonzept wurde viel Blödsinn in der Zeitung geschrieben».

In der Glasi-Stadt

Von der Kantonsstrasse aus sieht man das Gewerbehaus mit seiner denkmalgeschützten Giesserei-Fassade mit dem neuen Coop. Eine Grünfläche, keilförmig, gegen den Wald geöffnet, trennt Gewerbe und Wohnen. Auf den Dächern sind Solaranlagen, gekühlt wird im Sommer mit Durchzug und geheizt wird mit Tiefengrundwasser.

Ganz anders das Glasiquartier. Hier rauchen Holzschnitzel aus einem Kamin neben der Autobahnbrücke. Und es wird genossenschaftlich gehaust, ausser im Hochhaus, da sind Eigentumswohnungen. Grün gibt es weniger und kein Gewerbehaus wie im Guss, stattdessen Gewerbe in jedem Haus, zum Gehweg hin. Wir sehen eine Krippe, ein Tertianum, ein Schneider, den Moka-Shop mit Kaffee, Werbetafeln und Stühle im Freien, Plätz und Strassennamen, die an die Glashütte erinnern und an die italienische Stadt Santeramo, aus der viele Arbeiter kamen. Das passt.

Buntes Leben oder Banlieue?

Noch ist nicht alles fertig gebaut: Es wird aus dem Quartier eine Fussgängerüberführung direkt auf die Perrons des Bahnhofs Bülach geben und zum Spitalwald. Seit nun einem halben Jahr beginnt die Stadt, sich mit Menschen zu füllen. Es bleiben Fragen: Wird sich eine soziale Struktur bilden? Buntes Leben auf den Strassen einkehren? Werden die Menschen sich mit Bülach auf der anderen Seite verbinden? Wie sehen diese Wohnblockquartiere in siebzig Jahren aus, wenn die Gebäude alt sind und die Mieten tief – droht ein Banlieue oder gelingt ein zweites Zentrum? Diese letzte Frage, das muss man zugeben, stellt sich nicht nur in Bülach Nord, sondern auch in Bülach Süd und überhaupt in der ganzen Agglo, denn es wurde viel gebaut: 2002 hatte Bülach 14’000 Einwohnerinnen und Einwohner, mittlerweile bald 24’000.

Nach gut 90 Minuten war der spannende Rundgang zu Ende. Die Gäste der SVP Hüntwangen liessen den Abend beim Nachtessen im Landgasthof Sternen ausklingen, im Weiler Nussbaumen, inmitten von Bauernhöfen, Pferdeställen und der Natur.

Text: Matthias Hauser
Fotos: Manfred Hediger, Matthias Hauser